Zeitreise im Rahmen des Kulturprojekts “die andere Zeit” der Albert Koechlin Stiftung
Unser Projekt bewegt sich auf und um den Vierwaldstättersee, zwischen Orten, Zeiten und Zeitlosigkeit. Während eines Jahres bereisten wir monatlich einen Tag mit verschiedensten Schiffen den Vierwaldstättersee. Mit offenen Augen und Ohren begegneten wir dort Menschen und kamen mit ihnen ins Gespräch. Über das Thema Zeitreise hinaus erzählten sie uns Lebensgeschichten und lokale Informationen. Inspiriert von diesen Schilderungen und Hinweisen gingen wir allem nach, was unsere ausgestreckten Fühler in Schwingung brachte, recherchierten, fotografierten und schrieben.
Das Schiff ist ein uraltes, aber immer noch hochaktuelles Fortbewegungsmittel auf dem Vierwaldstättersee: früher ebenfalls zum Transport von Tieren und Materialien, heute mehr zum Vergnügen als zum Pendeln an den Arbeitsort. Wir reisen sicher und bequem auf dem Vierwaldstättersee auch wenn die Schiffe manchmal voll geladen sind. Dabei können Bilder auftauchen an übervolle Boote auf dem Mittelmeer, deren Reisende, wenn überhaupt, an unsicheren Destinationen landen.
Für uns bedeutet das Reisen auf dem Vierwaldstättersee, auf einem Dampf-oder Motor-Schiff (die alle die 28 kmh nicht überschreiten), ein Eintauchen in andere Zeiten. Die Reisenden erleben die gemächliche Fortbewegung als Gegenstück zur alltäglichen Hektik, eine Art Zeitlosigkeit im grossen Raum des Sees: Musse, um die wechselnden Landschaften, Sturm, Wetter, verschiedene Stimmungen und die Formenvielfalt des Sees zu erfahren. Vielleicht entsteht aber auch eine Empfindung der Bedrängnis, angesichts des Einfalls der Touristengruppen zwischen Luzern und Vitznau. Das Gefühl der Beschaulichkeit stellt sich dann erst in der archaischen Bergwelt des Urnersees ein.
ZEITREISE
Seit Januar 2018 verbrachten wir jeden Monat einen Tag auf dem Vierwaldstättersee. Langsames Reisen auf Schiffen mit nicht mehr als 30 km/h lässt uns eintauchen in eine andere Zeit, einen besonderen Zeitraum, eine Aus-Zeit. Wir bewegten uns zwischen den Zeiten auf über hundertjährigen Dampfschiffen, diesen schwimmenden Museen, auf moderneren Motorbooten bis zu den neusten Modellen in der Flotte, die andere Sehnsüchte und Bedürfnisse stillen. Musse, um die wechselnden Landschaften und Wetterstimmungen wirken zu lassen: Nebel, Wind, Regen, Cyrruswolken, Föhnfische und blauen Himmel … viel Zeit, um anderen Reisenden zu begegnen, den Pendlern, Ausflüglern, der Schiffscrew. Mit unterschiedlichen Menschen kamen wir so ins Gespräch. Über die Motivation der Schiffsreise hinaus erzählten sie uns Geschichten aus ihrem Leben, Überliefertes und Aktuelles aus der Gegend. Inspiriert von diesen Schilderungen und Hinweisen gingen wir allem nach, was unsere Fühler in Schwingung brachte, recherchierten, fotografierten, schrieben und liessen uns in verschiedene Zeiten entführen.
Der Vierwaldstättersee packte uns immer wieder mit seinen Tentakeln, den stets wechselnden Uferlandschaften, diesen Zeugen von geologischen, historischen und kulturellen Zeitepochen. Wir fuhren nicht nur auf der Horizontale des Wassers, sondern suchten auch die Vertikale, um den Vierwaldstättersee von oben zu erleben und mit allem, was an touristischer Vermarktung, Geschichte und Aktualität einhergeht. Zudem fühlten wir uns angezogen von Bergen unter Wasser und Abgründen in der Tiefe des Sees: Benennbares und Geheimes auf dem Seeboden und in seinen Schichtungen. Als Kondensat und Dokumentation dieser Reisen ist unsere Zeitreisemappe entstanden. Dazu gehören das Logbuch mit einer Auswahl an Bildern und Texten sowie der Faltplan. Auf der einen Seite zeigt der Plan die äussere Seegestalt mit seinen Armen, die verschiedenen Schiffsrouten, Zahnradbahnen und die von uns besuchten Orte an Land. Auf der anderen Seite blicken wir auf die Oberfläche des Sees und in seine Tiefen, in das von Nachlässigkeit bedrohte Naturreservoir, verseucht durch Plastik, Verpackungen aller Art, Gartenmöbeln, Batterien, Zigaretten, chemischen, textilen und anderen Abfällen. Urheber sind nicht nur Private oder Firmen, sondern auch das Militär, das Munition und Gasmasken bis in die Sechzigerjahre im See entsorgt hatte. Der Vierwaldstättersee ist nicht nur lieblich, faszinierend, sondern auch wild, unergründlich und vor allem lebensnotwendig, ein unschätzbares Kulturgut, das es sorgfältig zu respektieren und zu bewahren gilt.
Die Sonderfahrt auf dem Motorschiff Titlis am 5. Mai 2019 bildete der Abschluss unseres Projektes. Auf der dreistündige Schiffahrt erlebten unsere Gäste die Verdichtung all unserer Reisen auch von der meteorologischen Seite, von Schnee bis Regen und Sonnenmomenten. Wir stellten unsere Zeitreisemappe vor und waren anwesend für Fragen und Antworten. Musikalisch begleitet wurde die Reise von Albin Brun und Patricia Draeger. Benno Furrer erklärte die Gegend von der geologischen Seite und von Heinz Horat hörten wir kunsthistorische Erläuterungen. Zudem war mit unserer Apero Bar für das leibliche Wohl der Gäste gesorgt. Wir sind sehr zufrieden mit dem Abschluss unserer Zeitreise auch wenn die letzte Fahrt viel zu schnell vorbei ging.
ZEITREISE ist produziert im Rahmen des Kulturprojekts «Die andere Zeit» http://www.dieanderezeit.ch/ der Albert Koechlin Stiftung.
©gasser&gisler